Graphic Recording: Mitzeichnen statt mitschreiben

Bei Vorträgen und Diskussionsrunden das Gesagte punktgenau zeichnerisch festhalten – das kann nicht jeder. Wer in professionelle Bildprotokolle investiert, sichert sich aber nicht nur Unterhaltung vor Ort, sondern auch Illustrationen mit Mehrwert.

Beitrag von Mag. Udo Schimanofsky

Wir kennen sie alle: Flipchart-Kritzeleien, zusammenhangslose Schlagwörter und hastig aufs Papier geworfene Mindmaps. Was sich im Laufe eines Workshops an Ad-hoc-Visualisierungen ansammelt, hat für gewöhnlich schon beim Schlusswort ausgedient. Ist ja auch okay. Schließlich braucht es keine infografischen Meisterwerke, um Inhalte gut auf den Punkt zu bringen – aber sie können helfen.

Von unseren Kunden lernen
Das dachte man wohl auch bei MAM Babyartikel, für die wir die Mitarbeiterzeitschrift und den CSR-Bericht mit Magazincharakter gestalten. Als es dort nämlich darum ging, das Markenleitbild näher zu definieren, organisierte MAM eine Reihe von internen Workshops. Mit dabei zwei Kreativköpfe der Werbeagentur Hans Dampf mit dem Auftrag, die vielen Erzählungen der TeilnehmerInnen live mitzuillustrieren. „Das ist schon anstrengend für uns“, meint Creative Director Jan Christ, der selbst für die Bebilderung Hand anlegte. „Deshalb sind wir auch zu zweit: einer, der zeichnet, und einer, der währenddessen weiter zuhört und gedanklich zusammenfasst. Vor allem bei abstrakten Inhalten lohnt es sich. Etwas Optisches bleibt einfach im Kopf mehr hängen, als nur Gehörtes.“

Am Zeichentisch nimmt das Gesagte so richtig Form an.

Mitarbeiter inspirieren Meisterwerke
Graphic Recording – also das spontane Aufzeichnen von Inhalten in Bild und Text – ist zwar nicht das Hauptgeschäft von Hans Dampf. Für MAM war die Agentur aber zweifelsohne die richtige Wahl, denn die beiden Firmen arbeiten seit vielen Jahren intensiv zusammen an unterschiedlichsten Projekten und Kampagnen. Christs Bildsprache ist also nicht nur prägnant, sondern auch stilecht und den Mitarbeitern bereits vertraut. Gleichzeitig fließen in diesem Fall durch die grafische Simultanübersetzung vor Ort die individuellen Beiträge der Workshop-Teilnehmer direkt mit ein. „Ich muss natürlich aufpassen, dass ich die vorgetragenen Ideen verdeutliche und weiterspinne, ohne sie dabei zu verfremden“, so Christ. „Letztlich muss sich jeder darin wiederfinden – dann kommt es auch gut an.“ Die Illustrationen stehen in weiterer Folge für die interne Kommunikation zur Verfügung, vermitteln die Prozesshaftigkeit im gemeinsamen Arbeitsverlauf und machen Ergebnisse greifbar.

Bei MAM fanden ein paar besonders gelungene Bilder – leicht nachbearbeitet – ihren Weg ins Mitarbeitermagazin.


Karriere wie aus dem Bilderbuch
Graphic Recording beschränkt sich natürlich nicht nur auf interne Anwendungen. Lana Lauren von visolutions war bei zahlreichen Veranstaltungen als Live-Illustratorin im Einsatz, etwa für TEDxKlagenfurt oder bei einer internationalen Präsentationsreihe von UNICEF zum Thema Kinderrechte. Nach Abschluss ihres BWL-Studiums begann die junge Österreicherin, Beratungen zur grafischen Datenaufbereitung anzubieten. Bei ihren Seminaren illustrierte sie selbst mit. Erst durch die Nachfrage ihrer Kunden, kam sie auf die Idee, mit ihren Bildzusammenfassungen Karriere zu machen. So wie es aussieht, ist Lauren damit am Puls der Zeit.

Ein Trend zeichnet sich ab
Die visuelle Vermittlung von Inhalten boomt, Erklärvideos und grafisch aufbereitete Infohäppchen stehen hoch im Kurs. Sieht Lauren im Graphic Recording einen neuen Trend? „Der Begriff ist neu, aber das Konzept gibt es eigentlich schon immer“, sagt die selbstständige Expertin für erklärendes Zeichnen. „Wir können nur spekulieren; aber vielleicht sind sogar die frühen Höhlenmalereien so entstanden, dass jemand in einem Vortrag neue Jagdtechniken vorstellte und nebenbei an der Wand illustrierte.“ In seiner heutigen Form machte das simultane Bebildern erstmals in den USA der sechziger Jahre auf sich aufmerksam. Dabei gab es anfänglich zwei Strömungen: Profis aus der klassischen Illustration konzentrierten sich auf die optisch ansprechende Umsetzung von Motiven, während besonders Vortragende und Moderatoren darauf Wert legten, die Inhalte klar zu strukturieren, und von Visual Facilitation sprachen. Für Lana Lauren liegt die Kunst darin, beides zu schaffen.

Sprung ins Ungewisse
Hierzulande ist Graphic Recording noch immer eine Neuheit. „Es sind eigentlich bei jedem Event Leute im Publikum, die es noch gar nicht kennen“, erzählt Lauren. Veranstalter können sich also nach wie vor als Vorreiter positionieren und ihre Zielgruppe zum Staunen bringen. Die spontane Untermalung und Verständnishilfe während des Vortrags lockt auch danach noch zur Auseinandersetzung mit den Inhalten und eignet sich obendrein hervorragend zum Teilen über Social Media. Kein Wunder also, dass Lauren in ihrer Arbeit Langzeitwert verortet: „Vielleicht wird sich das Wie ändern und etwas dazukommen – 3D-Zeichnen zum Beispiel – aber die Grundidee wird so schnell nicht aus der Mode kommen.“

© Fotos: Lana Lauren, visolutions


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