Mit Nadel oder spitzer Feder
Ob Abendkleid oder Illustration: Handarbeit nach Maß ist toll. Es braucht dazu aber auch Vorstellungskraft und Vertrauen, weil man vorher nie ganz genau weiß, was man hinterher bekommt.
Meine Tante ist Schneiderin und hat mir schon einige ausgefallene Kleiderwünsche erfüllt. Ich bringe ihr dann Bilder aus Zeitschriften und sage: „So will ich das bitte, aber mit einem anderen Stoff und mit Knöpfen statt Reißverschluss.“ Zum Glück ist sie geduldig, hört sich meine Wünsche an, macht selber Vorschläge – und sitzt an der Nähmaschine. So entstand auch ein Kleid, das ich auf einer Preisverleihung der Corporate-Publishing-Branche trug. Obwohl nicht beabsichtigt, war die außergewöhnliche Robe werbewirksam. Ich wurde von potenziellen Kunden gefragt, von welchem Designer das Stück denn sei. So ergab sich die Gelegenheit zum Austausch von Kontakten ...
Ein Kleid zu schneidern ist nicht nur handwerklich eine Herausforderung. Will man ein Einzelstück und nicht eine Kopie von etwas Vorhandenem, ist Vorstellungskraft gefragt. Welcher Schnitt steht mir? Welche Zierelemente werden gut aussehen? Welche Details lässt man besser weg?
Ganz ähnliche Fragen haben wir uns neulich gemeinsam mit einem Kunden gestellt. Sein neues B2B-Magazin sollte aus der Masse hervorstechen, elegant wirken und trotzdem witzig sein. Erschwerend kam hinzu, dass abstrakte Inhalte rund um Personalmanagement kommuniziert werden. Sie sind, will man nicht Klischees bedienen, schwer zu bebildern. Eine Lösung nach Maß war für das qualitätsbewusste Unternehmen ein Muss. Wir entschieden uns dafür, die gesamte Zeitschrift durchgängig in einem Stil zeichnen zu lassen.
Skizzen gab es natürlich im Vorfeld. Dennoch gibt der Kunde hier eine Idee frei und kein finales Produkt. Das Endergebnis ist daher immer eine Überraschung für ihn. Er muss darauf vertrauen, dass es eine positive wird. Das bedeutet auch eine große Verantwortung für uns und unsere Illustratoren.
Bisher hat immer alles bestens geklappt. Ob Magazin oder Kleid: am Ende gab es ein Produkt, das rundherum gefiel und für Aufsehen sorgte. Und eines kann ich unseren potenziellen Kunden versprechen: Im Gegensatz zu meiner Tante, die im Umgang mit Stecknadeln nicht zimperlich ist, piksen unsere Illustratoren ganz sicher niemanden mit ihrer spitzen Feder.
Diese Kolumne erschien erstmals in der Printausgabe der Tageszeitung "Der Standard" vom 13. Dezember.