Das verkorkste Interview
Von unangenehmen Fragen und unangenehmen Wahrheiten. Oder: Was wir von schwierigen Gesprächspartnern wie Lou Reed lernen können.
Beitrag von Mag. Markus Deisenberger
Es gibt da dieses legendäre Interview mit Lou Reed. Wenn man so will, ist es die Mutter aller verkorksten Gespräche. Schon die Einstiegsfrage, was ihn nach all den Jahren denn immer noch so an New York fasziniere, quittiert der als notorischer Grantler verrufene Künstler mit einem: „Wissen Sie, ich fühle mich gerade nicht bemüßigt, die einzelnen Aspekte meiner Liebe zu New York aufzuzählen. Manhattan ist großartig. Punkt. Den Rest können Sie in jeder Touristen-Broschüre nachlesen, wenn es Sie so sehr interessiert.“
Explicit lyrics
Das nennt man eine Abfuhr. Doch damit nicht genug. Journalist und Reed legen nach. Und wie. Mit der zweiten Frage spricht der Journalist Reed auf dessen Album „Metal Machine Music“ an, das seiner Meinung nach, weil es keine Rhythmen und keine Melodien enthalte, unhörbar sei und deshalb lange als „schlechtestes Album aller Zeiten“ bezeichnet worden sei. So kommt man einem Lou Reed natürlich nicht ungestraft. Was folgt, ist eine Beschimpfung, die sich gewaschen hat. Dem Magazin gebührt allergrößter Respekt dafür, nichts geschönt zu haben, sondern das Gespräch mit all den „explicit lyrics“ so abgedruckt zu haben, mit denen es auch stattfand. Man schonte so weder Lou Reed noch den eigenen Mitarbeiter.
Doch was war passiert? Ein weiteres Beispiel für die Unberechenbarkeit Lou Reeds?
Mitnichten. Betrachten wir „Metal Machine Music“ einmal näher. Die erste Rezension auf amazon.de stößt zwar ins gleiche Horn wie die Frage des Journalisten: „Müll. Totaler Schrott. Finger weg!“, heißt es da über das Album. Aber: Die eingehende Recherche zeigt, dass besagtes Album unter Insidern heute, eben weil es keine Rhythmen und keine Melodien enthält, als bahnbrechend gilt, ja sogar als der Grundstein des Genres „Noise“ angesehen wird. „Pitchforkmedia“, US-amerikanische Online-Insititution in Sachen Musik, nennt es (frei übersetzt): „Ein Produkt einzigartiger Liebe und Leidenschaft, auch nach vier Jahrzehnten immer noch erfreulich.“
Reed wollte sich offensichtlich von einem x-beliebigen Journalisten nicht vorhalten lassen, sein Album, das in Fachkreisen als Meilenstein gilt, sei unhörbar. Ist er deshalb ein unangenehmer Mensch? Wohl kaum, wenngleich seine Wortwahl im Detail vielleicht unpassend gewesen sein mag.
Giftpfeile erst nach dem Angenehmen
Worauf ich hinaus will, ist: Mit Lou Reed über New York reden zu wollen und damit abzublitzen, ist mehr als legitim. Dann aber eine gleichermaßen offensive wie schlecht recherchierte Frage nachzuschießen, nicht. Oder anders gesagt: Man muss nicht wissen, als wie genial „Metal Machine Music“ in Fachkreisen gilt. Sollte man aber, wenn man einerseits Lou Reed interviewt und ihm damit auch noch am Zeug flicken will. Und wenn Sie Lou Reed ans Leder wollen, sollten Sie eine journalistische Grundregel beherzigen, die Kommunikationsexperte Markus Resch in einem Interview, das er uns gab, so zusammenfasste: „Zuerst die angenehmen Fragen – zum Aufwärmen. Und wenn der Interviewpartner sich wohlfühlt, dann packen die journalistischen Profis die Giftpfeile aus dem Köcher.“
Gerade im Gespräch mit vermeintlich schwierigen Gesprächspartnern empfiehlt es sich, zum Einstieg gut recherchierte Fragen zu stellen, die das vermeintlich schwierige Gegenüber ins Gespräch reinziehen und nicht gleich vor den Kopf stoßen. Die Giftpfeile, um auf das Zitat von Markus Resch zurückzukommen, sollte man, wenn man sie denn überhaupt braucht, für später aufheben. Und wenn man sie abschießt, sollten sie auch sitzen. Für alle anderen Fälle gilt für das Interview wie für das Leben an sich das chinesische Sprichwort: „Wer mit glühenden Kohlen wirft, verbrennt sich nur selbst.“
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Das könnte Sie auch interessieren:
- Der CEO als krisenfester Kommunikator
- Wir können doch nicht über Konflikte reden
- Warum Jubelmeldungen nicht funktionieren