Werden Sie Innovationschampion
Lässt sich Unternehmenskultur spielerisch erlernen? Ist sie über konkrete Praktiken gestaltbar? Ein kreatives Kartenspiel, das sich „Innovationskulturnavigator“ nennt, sagt: Ja!
Beitrag von Mag. Markus Deisenberger
Starker Wettbewerb und niedrige Margen. Der Druck auf Unternehmen, innovativ zu sein, wird immer größer. „Während auf Ebene der Strategie und des Geschäftsmodells schon viele gute Antworten gegeben wurden, kommt der menschliche Faktor der Innovation häufig zu kurz oder wird überhaupt übersehen“, sagt das Institut für Technologiemanagement der Universität St. Gallen (ITEM-HSG). Legendäre Errungenschaften würden zudem gerne an einer Person wie IBM-Gründer Thomas Watson oder Apple-Erfinder Steve Jobs festgemacht – einfach, weil sich die Geschichten über einsame, heroische Einzelkämpfer besser erzählen ließen. Vergessen werde dagegen die enorme Portion an Teamwork, die es für jede Errungenschaft dieser Größe braucht. Unerwähnt blieben meist auch die innovativen Kräfte aus der zweiten Reihe. Entweder liegt das menschliche Potenzial also überhaupt brach oder es wird schlicht und ergreifend nicht kommuniziert. Dabei könne gerade die Unternehmenskultur eine zentrale Stellschraube sein, „die es ermöglicht, die Mitarbeiter als entscheidende Quelle und Erfolgsfaktor für Innovation zu nutzen“.
Agilität, Diversität
Zwanzig Jahre lang beschäftigt man sich am St. Gallener Institut schon mit dem Management von Innovation und den Erfolgsfaktoren der innovativsten Unternehmen.
Teil des Resümees: Eine innovative Unternehmenskultur zieht junge Talente an. Die innovativsten Entwickler würden sich deshalb gerade nicht in den klassischen Industrien wie Banken, Industrie oder Handel tummeln, stattdessen finde man sie bei Google und Amazon. Warum? Weil sie dort das finden, was an ihrem angestammten Arbeitsplatz fehlt: Agilität, Diversität, Inspiration, Feedbacks, hohe Transparenz und Selbstentfaltung. Die „Kultur der Innovationschamps“, wenn man so will. Genau die brauche es aber, um langfristig erfolgreich zu sein. Gemeinsam mit der BGW Management Advisory Group wurde diese Kultur extrem innovativer Unternehmen nun genau analysiert. Vor allem zwei Fragen wurde dabei nachgegangen: Was zeichnet die Kultur der Innovationschampions aus? Und mit welchen ganz konkreten Maßnahmen schaffen es führende Unternehmen, Innovationskultur zu etablieren oder die bereits vorhandene Kultur zu verstärken? Wie also stellt man genau jene Atmosphäre her, die die Entfaltung innovativer Ideen begünstigt und das Unternehmen auf lange Sicht nach vorne bringt?
Mit ganz konkreten Kulturpraktiken, die als Inspirationsquelle dienen, ist das Institut überzeugt. Die 66 besten dieser Praktiken wurden im St. Galler Innovationskulturnavigator als eine Art „Inspirationskit“ zusammengestellt. Man könnte auch – ungleich profaner – von einem Kartenspiel sprechen. Von Internal Challenge bis Intrapeneurship, von flexibler Leistungsmessung bis Flagship Events reichen die Vorschläge, wobei die 66 Praktiken wiederum in sechs Untergruppen eingeteilt sind, von „Inspirierend“ über „Motivierend“ bis hin zu „Empowerment“.
Die Macher des Kits schlagen Unternehmern einen Prozess in drei Schritten vor:
Zunächst kommt die Insight, dann die Inspiration und schließlich die Implementation.
Das geschieht folgendermaßen: Am Anfang steht die objektive Standortbestimmung des eigenen Unternehmens (Insight bzw. Einsicht). Es folgt ein Workshop, in dem die zum Profil passenden Kulturpraktiken erarbeitet werden. Diese werden letzten Endes für den konkreten Kontext des Unternehmens adaptiert, d. h., die Erkenntnisse des Prozesses werden in die eigene Struktur implementiert, was hoffentlich irgendwann zur Innovation führt. Klingt einfach. Aber ist es tatsächlich so leicht, ein „Innovationschamp“ zu werden?
Shoot for the Moon?
Geht man die 66 Tipps durch, fällt die enorme Bandbreite auf. Manches ist verhältnismäßig leicht zu verwirklichen wie etwa die Abhaltung offener Meetings, die Einbeziehung externer Denker oder die Schaffung virtueller Räume zum Ideenaustausch, anderes schon aufwendiger wie z. B. die Etablierung eines Netzwerks aus erfahrenen Mentoren, die ein Projektteam bei der Realisierung eines Vorhabens unterstützen. Manches ist dagegen ganz bewusst hoch gegriffen. Kulturtechnik Nr. 31. ist sogar mit „Shoot for the Moon“ betitelt, was bedeutet, dass man sich mitunter auch Ziele setzen muss, die enormen Impact mit enormen Herausforderungen verbinden.
Viele der Empfehlungen sind von allgemeiner Gültigkeit, etwa der Ratschlag, kollaborative Projektmanagementtools zu verwenden, bei der Zusammenstellung von Teams auf ihre Diversität zu achten oder ein systematisches Ideenmanagement zu installieren, um Ideen von Mitarbeitern zu sammeln. Manches weniger, wie die Schaffung einer sogenannten Playground Atmosphere mit Tischtennisplatten und Spielkonsolen, was in eine Kreativagentur vielleicht gut ankommen mag, in der Etage einer Investmentbank wohl eher für Kopfschütteln sorgen dürfte. Vieles klingt auf Anhieb logisch wie etwa, dass man sich von Innovationsprojekten, die man aus emotionalen oder politischen Gründen zu lange laufen ließ, deren Aussichten aber durchwachsen sind, auch mal trennen muss („Kill Projects“). Nur: Tun muss man es halt.
Und genau hier wird die größte Stärke des Kartenspiels (oder Innovationskits) deutlich, die zugleich seine größte Schwäche ist: Innovative Ideen lesen sich zwar spannend, letztlich aber liegt es am Anwender selbst, sie in die Tat umzusetzen. Es obliegt dem Unternehmer, wie kritisch die Bewertung der eigenen kulturtechnischen Defizite ausfällt. Und auch, ob in weiterer Folge die zur eigenen Struktur passenden Kulturpraktiken ausgewählt und dann auch angewendet werden, liegt in seiner Verantwortung. Von punktgenauer Analyse und treffender Maßnahme, die Innovation begünstigt, bis hin zu hohlem Aktionismus ist hier vieles denkbar.
Mit anderen Worten: Das zur Verfügung gestellte Werkzeug ist gut, der Anwender muss es aber auch sein. Die Ansätze sind treffend, man muss sich nur trauen, ihnen zu folgen.
Essenziell wird daher das sein, wozu die Macher des Spiels selber raten: Dass der Prozess von einem erfahrenen Moderator begleitet wird, der lenkend eingreift und den Ideen eine klare Richtung gibt. Eine Sammlung wirklich wertvoller Anregungen, wie sich ein Prozess zum Kulturwandel anstoßen lässt, ist das Innovationskit allemal. Der Beleg, welche bekannten Unternehmen sich in der Vergangenheit welcher innovativer Methoden bedient haben, macht zudem sicher, dass es keine leeren Hülsen, sondern angewandte Praktiken und damit Bestandteil ganz konkreter Erfolgskonzepte sind. Auf die Reise aber muss man sich selbst begeben. Das, was einem viele Lebensratgeber vorgaukeln, dass einem irgendjemand den Aufwand der Selbstreflexion abnimmt, passiert hier nicht. Gut so. Denn dazu passt Tipp Nr. 15, der da lautet: „Step Out of Comfort Zone.” „Durchbrich deine typische Routine“, heißt es da, „und bewege dich (ein Stück) außerhalb deiner Komfortzone – am besten gleich mit deinem ganzen Team.“
Gassmann, Meister, Wecht, Bömelburg: Der Innovationskulturnavigator.
66 Karten für den Kreativprozess, 66 Seiten, € 48,00;
ISBN: 978-3-446-45556-6
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