Auge mit Globuspupille

Gut und Böse – Die Welt mit beiden Augen sehen

„Die Menschen klüger machen“: Darum geht es im kritisch-konstruktiven Journalismus. Dessen Ansätze sind zwar nicht eins zu eins auf das Corporate Publishing umsetzbar. Vieles kann aber auch hier erfolgreich angewendet werden, ist der Hamburger Journalist und Trainer Christian Sauer überzeugt.

Herr Sauer, was will kritisch-konstruktiver Journalismus?
Bei den Menschen ein Gefühl für Veränderbarkeit stärken und ein Grundverständnis für Konflikte aufbauen, statt Sorgen und Ängste zu schüren. Die Kunst besteht darin, die notwendige kritische Grundhaltung mit einem konstruktiven Blick zu verbinden. Um es mit den Worten des dänischen Journalisten Ulrik Haagerup zu sagen: „Wir wollen die Welt mit beiden Augen sehen.“

Besteht da nicht die Gefahr der Schönfärberei?
Nein, denn kritisch-konstruktive Storys haben mit positiver Voreingenommenheit ebenso wenig zu tun wie mit einem Feel-good-Journalismus, bei dem Probleme erst gar nicht zur Sprache kommen. Sie stellen vielmehr die Spannung zwischen gegensätzlichen Polen dar, etwa zwischen kontroversen Meinungen oder zwischen einer eher skeptischen und einer eher optimistischen Sichtweise. Der Fokus liegt dabei auf möglichen neuen Lösungen, die sich aus dieser Spannung ergeben. Entscheidend ist: Wohin führt die Debatte? Nicht: Wer gewinnt? Dazu beantworten kritisch-konstruktive Artikel Fragen wie: Wer macht es besser? Worin können mögliche Lösungen liegen? Oder: Was hat wo bei dem gleichen Problem geholfen?





Wie hat sich der kritisch-konstruktive Journalismus seit dem Aufkommen des Begriffs 2014 entwickelt?
Für Deutschland kann ich sagen, dass das Konzept vielerorts in den redaktionellen Alltag einfließt. Über die Phase der sichtbaren Rubriken ist man schon hinaus. Wobei man solch eindeutig konstruktive Rubriken natürlich schon machen kann, aber bitte nicht langweilig à la „Die gute Nachricht“, sondern mit fetzigen Titeln und spannenden Storys. 

Kann auch der Corporate-Publishing-Bereich von einem kritisch-konstruktiven Zugang profitieren?
Auf jeden Fall. Ich würde sogar sagen, Corporate Publishing hat hier einen natürlichen Vorteil, denn Kundenzeitschriften sind keine Aufdeckermagazine, der positive Blick ist ihnen immanent. Wo aber beim klassischen Journalismus die Gefahr besteht, alles mit einer zu dunklen Brille zu sehen, ist es beim Corporate Publishing eher die Gefahr einer rosaroten Brille. Corporate Publishing kann dort bei seinen Lesern brillieren, wo es die Welt durch eine durchsichtige Brille schärfer betrachtet und die Realität glaubwürdig abbildet – gern auch mit einem freundlich-optimistischen Einschlag. Ein Merkmal des kritisch-konstruktiven Journalismus ist auch, das Publikum nicht als passive Masse wahrzunehmen, sondern als Leute, die mitgestalten bzw. mitreden können und vielleicht wollen. Auch hier liegt eine Chance für Kunden- und Mitarbeitermagazine.

Haben Sie ein konkretes Beispiel?
Wenn es im Kundenmagazin eines Gasversorgungsunternehmens um Schimmel durch Kälteecken geht, kann man den betroffenen Menschen neben Tipps zur Vermeidung auch einen Chat mit einem Experten anbieten. Oder man organisiert einige kostenlose Wohnungsbesuche durch Berater und dokumentiert, wie diese das Problem lösen.

Verraten Sie uns noch einige Tipps für Kunden- und Mitarbeitermagazine?

  • Fragen Sie als Reporter/in nach dem „Und jetzt?“: Bleiben Sie nicht in der Beschreibung eines Zustandes stecken, sondern entwickeln Sie Ideen, Perspektiven, schildern Sie Best-Practice-Beispiele.
  • Schärfen Sie Ihren Blick für Problemlöser: Suchen Sie sich als Interviewpartner Menschen, die Lösungskompetenz mitbringen.
  • Treten Sie in Dialog mit Ihren Lesern: Machen Sie ihnen konkrete Angebote, etwa Expertenforen – live, an verschiedenen Orten im Verbreitungsgebiet.
  • Bleiben Sie dran: Konstruktiver Journalismus braucht einen langen Atem. Es lohnt sich, ein Thema umfassender zu beleuchten und später wieder aufzunehmen. Hier haben Corporate-Publishing-Produkte den Vorteil, dass sie nicht dem gleichen Aktualitätsdruck ausgesetzt sind wie Zeitungen oder Fernsehen.

Fragen-Checkliste des kritisch-konstruktiven Journalismus

  • So what? Und jetzt? Wie geht es weiter, lässt sich das Problem beheben?
  • Wer noch? Wer hat sich noch mit dem Problem beschäftigt? Mit welchem Ergebnis?
  • Womit? Womit könnte man die Lage verändern?
  • Das Kontext-Wie: Wie hängt alles zusammen? Wo liegen die Wurzeln des Problems?
  • Das Motivations-Warum: Warum ist es wichtig, sich damit zu beschäftigen?

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Christian Sauer, kritisch-konstrutiv, journalismus, fachbuch, corporate publishing

Zur Person: Dr. Christian Sauer war nach seiner Ausbildung beim „Tagesspiegel“ in Berlin als Redakteur und Reporter für diverse Medien tätig, zuletzt als Stellvertretender Chefredakteur „chrismon“ (Beilage u.a. der „Zeit“ und der „Süddeutschen“). Seit 2006 arbeitet er als selbstständiger Trainer, Coach und Berater im ganzen deutschsprachigen Raum. Zusammen mit Ulf Grüner gibt er den Sammelband: Kritisch-konstruktiver Journalismus. Impulse für Redaktionen, heraus (Norderstedt 2. Aufl. 2018) · Foto: © N. Malonnek/privat
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