Wording: Ein Plädoyer für maßvolle Regelwerke
Ein Unternehmen präsentiert sich nicht nur über Logo und Produkte, sondern auch über die Sprache, die in Briefen, Mails, Magazinen, PR-Texten, bei Interviews und Kundentelefonaten verwendet wird. Ein geregeltes Wording scheint da unabdingbar – hat aber auch seine Tücken.
Ob Brief, E-Mail oder Presseaussendung: Mitarbeiter verfassen ständig Texte für ihr Unternehmen. Sie formulieren im Namen des Unternehmens. Wording-Regeln soll sicherstellen, dass die Worte der Mitarbeiter den Unternehmenswerten entsprechen und rechtliche sowie inhaltliche Vorgaben erfüllen.
So weit, so gut. Einem Unternehmen eine sprachliche Identität zu verpassen hat aber auch seine Tücken. Die meisten Ratgeber zu diesem Thema enthalten über weite Strecken allgemeine Schreibhilfen, die so klare Vorgaben wie: „Passivkonstruktionen nur nötigenfalls verwenden“ beinhalten – was auch immer das heißen mag. Man erfährt dort, dass kurze Sätze besser sind als Schachtelkonvolute oder dass man klar, unbürokratisch und zielgenau formulieren soll. Dementsprechend aufgeblasen sind viele firmeninterne Wording-Handbücher. 50 Seiten Umfang sind keine Seltenheit. Wer liest das, um einen Brief zu schreiben oder eine E-Mail zu verfassen? Oder kann man’s ohnehin bleiben lassen, weil auf Seite 7 steht: „Verlassen Sie sich auf Ihr Sprachgefühl“? Im Zweifel gilt, wie so oft: weniger ist mehr.
Gerüst ja, Korsett nein
Corporate Wording ist dort wichtig, wo es Richtlinien für Abkürzungen gibt, wo festgelegt wird, ob und welche Titel angeführt werden, wie mit Gender und Diversity umgegangen wird oder wo spezielle Schreibweisen fixiert werden. Ein gewisses Gerüst ist besonders für große Unternehmen nützlich, ein Korsett ist kontraproduktiv. Es führt zu Sprachungetümen, Monotonie und erhöhtem Aufwand in der Schlussredaktion. Muss ich tatsächlich jedes Mal „UEFA Euro 2012 TM“ statt des allgemein verständlichen Wortes Fußballeuropameisterschaft schreiben? Darf ich einen Firmennamen nicht abteilen, auch wenn dann jeder Absatz redigiert werden muss, um die Löcher im Blocksatz zu reparieren? Ähnlich wie ein gutes Corporate Design sollten auch die Wording-Vorgaben genügend Freiraum für journalistische Unternehmenspublikationen lassen.
Gescheiter als der Duden?
Sehr beliebt in hausgemachten Sprachfibeln sind die Themen Groß- und Klein- bzw. Zusammen- und Getrenntschreibung. Zu den meisten dieser Sprachformalitäten hat der Duden Regeln erstellt, an die man sich halten könnte. Stattdessen werden strikte Bindestrichverbote im Zusammenhang mit Marken eingeführt, oder es heißt plötzlich eMail statt E-Mail. Da fragt man sich: Was hat absichtliche Falschschreibung mit den Unternehmenswerten zu tun?
Den Sprachduktus fühlen
Wichtiger, aber auch schwieriger ist es, eine grundsätzliche Sprachausrichtung zu beschreiben. Ikea duzt seine Kunden, Rolf Benz würde das wohl nicht tun – das ist noch klar definierbar. Ein Surfbretthersteller wird seine Kunden anders ansprechen wollen als ein Geigenbauer – aber wie genau, lässt sich schon schwerer in Regeln gießen. Wie viel Englisch ist erlaubt? Wie modern, gediegen, jugendlich, korrekt oder direkt soll ich mich ausdrücken? Ein Textprofi braucht hier kein Handbuch. Er erkennt diese Dinge auf den ersten Blick und passt sich ihnen an. Aber auch für die Mitarbeiter sollte der Firmen-Sprachduktus kein aufgesetztes Regelwerk sein. Weitgehend sollte er sich von selbst ergeben, wenn Kunden, Mitarbeiter, PR-Agenturen und Unternehmen zusammenpassen. Ihn zu überdenken und auszufeilen, ist durchaus nützlich. Ihn restlos festschreiben zu wollen aber eigentlich unmöglich. Soweit Sprachgefühl erlernbar ist, sind Schreibworkshops für Mitarbeiter sicher die sinnvollere Investition.