Die Macht der Typo
Sie weckt Emotionen, beeinflusst uns unbewusst, kann Nutzen stiften oder Schaden anrichten. Typografie trägt wesentlich dazu bei, ob wir ein Magazin begeistert verschlingen oder sofort aus der Hand legen. Warum das so ist und wie man die richtige Schrift auswählt, verraten wir Ihnen hier – inklusive Beispiele.
Eine Bank ist seriös und vertrauenswürdig. Sie geht keine Risiken und Abenteuer auf Kosten ihrer Kunden ein, sondern kümmert sich verlässlich um deren Agenden. Geld ist bei ihr gut aufgehoben. Diese Botschaften sollten ihre Services und Produkte ebenso wie ihre Kommunikation auf allen Kanälen ausdrücken – vom Kundenmagazin über die Website bis zum Produktfolder. Entscheidend sind dabei einerseits natürlich Inhalte. Andererseits – und darauf wird häufig vergessen – wirken sich auch Typografie und Gestaltung wesentlich aus.
Charakter zeigen. Martin Tiefenthaler, Lehrender an der Graphischen in Wien, Typograf und Designer, bringt es auf den Punkt: „Typografie vermittelt subtil und nachhaltig den Charakter eines Unternehmens, die Qualität eines Produkts, den Tonfall einer Botschaft, die Stringenz einer Aussage, die Relevanz von Informationen. Sie definiert durch Schriftwahl und Gestaltung den Inhalt mit, verändert, moduliert, transportiert ihn.“
Welche Schriftart passt also zu der Bank? Auf keinen Fall eine verspielte Bree oder gar eine Zierschrift wie Shelley. Auch eine zarte Schrift eignet sich nicht. Daher haben wir uns bei dem Magazin perspektiven der Bank Austria Premium Banking neben FS Joey für Publico Text entschieden – denn sie vermitteln Seriosität und Gewissenhaftigkeit.
Schrift: „Bree“
Schrift: „Shelly“
Wie auswählen? Die Auswahl der richtigen Typografie ist nicht einfach und erfordert einen professionellen Blick und viel Know-how. Tiefenthaler nennt drei zentrale Kriterien, die auf jeden Fall beachtet werden sollten: „Lesbarkeit, Semantik und technische Anforderungen. Wenn alle erfüllt sind, gilt es nur noch, die Schrift gut und richtig anzuwenden. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Typoausschnitt perspektiven
Hier haben wir die drei Aspekte für Sie noch einmal im Überblick:
#1 Lesbarkeit: Emotionen wecken.
Wir achten als Lesende im Normalfall nicht auf die Typografie. Trotzdem „wirkt“ sie auf uns – wenn auch unbewusst: Wenn uns das Lesen eines Textes anstrengt, leidet unser Körper darunter. Das hat laut Tiefenthaler auch Einfluss auf unsere Gefühlswelt, denn es erzeugt Unbehagen und negative Emotionen, die sich nachteilig auswirken können: „Diese werden dann auf die Produkte beziehungsweise Absender, für die der Text steht, projiziert.“
Anders gesagt: Unser Körper wehrt sich gegen schwer lesbare Schrift. Natürlich funktioniert das auch umgekehrt. Wenn Typografie dazu beiträgt, dass wir einen Text gut lesen können, lesen wir ihn auch gerne.
Für die Sichtweisen, das Magazin der Hilfsgemeinschaft, haben wir etwa eine besonders große Schrift gewählt, da viele Lesende sehbehindert sind. Die Schriftgröße von 10,5 pt liegt auf jeden Fall über dem Durchschnitt. Zusätzlich ist Helvetica Neue besonders klar und gut lesbar.
Typoausschnitt Sichtweisen
#2 Semantik: Auf Inhalt und Zielgruppe abstimmen.
Passt die Schrift zum Inhalt? Diese Frage ist essenziell, denn: „Typografie vermittelt immer und ausschließlich Inhalte. Ihre Gestaltung bestimmt, wie und was vom Inhalt bei den Lesenden ankommt“, so Tiefenthaler.
Ein Text kann also noch so gut recherchiert, ordentlich strukturiert und spannend geschrieben sein – wenn die Typo nicht mit dem Inhalt zusammenspielt, ist die Begeisterung der Lesenden wesentlich geringer oder verkehrt sich sogar in Abneigung. Mit den Inhalten kommt dann auch die Zielgruppe ins Spiel. Immerhin muss die Schrift auch zu den Lesenden passen.
Das ist der Grund, warum das Magazin von MAM, einem Babyartikelhersteller, eine andere Schrift braucht als jenes von Doka, einem international agierenden Technikunternehmen. Die eine ist Adelle kombiniert mit der DIN Next Rounded, die andere die Museo Slab mit der Helvetica Neue und der Kepler.
Typoausschnitt MAM
Typoausschnitt Doka
#3 Technik: Basisregeln beachten.
Hat die Schrift alle Glyphen und Schnitte, die benötigt werden? Auch, wenn Texte in Fremdsprachen verfasst sind? Stimmen die Laufweite und das Kerning, also die Abstände zwischen den Buchstaben? Solche und andere technische Details sind essenziell, wenn die Schrift die richtige Wirkung entfalten soll. Typo-Profis kennen sich mit allen Spezifikationen und Feinheiten in diesem Bereich aus und setzen sie gekonnt ein. Die Grundregeln funktionieren wie die Grammatik in der Sprache.
Erfahrung und visuelles Gespür sind dann vor allem bei der Gestaltung gefragt. Sie steht der Schriftwahl in ihrer Bedeutung in nichts nach, wie Tiefenthaler betont: „Die beste Schrift hilft nichts, wenn sie schlecht gesetzt wird.“
Alle Fotos: © Reinhard Lang
Lesen Sie kommende Woche den zweiten Teil der Serie „Die Macht der Typo“: Das Interview mit Experte Martin Tiefenthaler in der Langform, in welchem er über die Wirkung von Typografie, ihren Nutzen für Unternehmen und über seine eigene Schrift erzählt.