„Acht von zehn Blogs liefern geistigen Unfug“

„Acht von zehn Blogs liefern geistigen Unfug“

Viele große Unternehmen scheitern auf Facebook, sagt Autor und Blogprofi Michael Firnkes. Auch deswegen sieht er derzeit eine „Renaissance der Blogs“.

Sind Blogs noch zeitgemäß? Internetexperte Sascha Lobo hat ja bereits 2012 angesichts des Aufstiegs der sozialen Netzwerke von einem Niedergang der Blogs gesprochen.
Auch viele Blog- und Kommunikationsexperten – darunter selbst geschätzte Kollegen von mir – halten Blogs für tot. Wenn ich mir die Beispiele anschaue, die dabei als Beweis herhalten müssen – etwa die Corporate Blogs großer multinationaler Konzerne –, dann muss ich sagen: kein Wunder. Wenn man so „bloggt“, ist es eine logische Konsequenz, dass man die Leser eher vergrault. Zum Glück erlebe ich in meinem Arbeitsalltag immer wieder tolle Firmenblogs, die hilfreichen Content bieten, interaktiv sind, sich von der Corporate Website abheben und die zum Teil erheblich zum Unternehmensumsatz beitragen. Start-ups und Freiberufler machen die besten Blogs, weil sie frische Content-Ideen haben, die sie sich nicht von zehn Stellen im Haus absegnen lassen müssen. Sprich: Wenn man es richtig angeht, sind Blogs nach wie vor die Basis für ein Content Marketing, das man selbst aussteuern kann. Und das langfristig wirkt. Derzeit erlebe ich persönlich sogar eine Renaissance der Blogs, also eine verstärkte Nachfrage im unternehmerischen Umfeld.

Es ist also auch in Zeiten von Facebook & Co. immer noch sinnvoll, einen Blog zu betreiben?
Das hängt sehr von der individuellen Ausgangssituation und der Zielsetzung ab – geht es mehr um Branding, Umsatzmaximierung oder Suchmaschinenoptimierung (SEO)? Spannenderweise kenne ich nun schon mehrere, durchaus sehr große Unternehmen, die eingestehen, dass sie bei Facebook & Co. noch nicht wirklich erfolgreich sind. Ihnen fehlt unter anderem schlicht der notwendige Content, um eine durchgängige Strategie aufzustellen und um den Leser abzuholen. Denn es nützt ja nichts, wenn ich viele Fans habe, die aber nicht dahin leiten kann, wo ich sie in der Regel haben will – auf das eigene Portal. Auch das trägt zur „Blog-Renaissance“ bei – hier tun sich Unternehmen in der Regel leichter, passenden Content aufzustellen. Ich weiß, „der Blog als Basis“ ist ein sehr strapazierter Begriff. Er trifft es jedoch nach wie vor sehr gut. Vor allem dann, wenn es in einem Unternehmen Nachholbedarf in Sachen Qualitätscontent gibt. Denn dann ist ein Blog ein guter erster Schritt, um dieses Defizit zu beheben. Und dass man heutzutage vor allem in umkämpften Segmenten an qualitativ hochwertigen Inhalten nicht mehr vorbeikommt, das hat sich mittlerweile herumgesprochen – dank des Hypes rund um Content Marketing und die Google-Updates. Von daher sind Corporate Blogs oftmals das wirksamste SEO-Instrument, mit ihnen kann man schließlich deutlich besser experimentieren und vielfältiger kommunizieren als auf der Corporate Website. Auch wenn Blogs meines Erachtens scheitern müssen, und zu Recht scheitern, wenn man sie rein aus SEO-Gründen heraus etabliert und betreibt.

Wie sinnvoll ist Ihrer Meinung nach der Begriff „Blog“ überhaupt noch? Sehen Sie eine sinnvolle Abgrenzung zum „Online-Magazin“?
Welchen Begriff ich verwende, sollte vor allem von der gewünschten Außenwirkung abhängen. Man muss nicht zwangsweise einen „Blog“ etablieren, wenn der spezifische Kundenstamm damit nur wenig anfangen kann, und umgekehrt. Natürlich ergibt die Bezeichnung „Blog“ ein anderes Außenbild, spricht vielleicht andere Personengruppen an und sorgt für andere Reaktionen und auch Erwartungshaltungen als ein „Magazin“. Hier muss man gut abwägen, die Zielsetzung und die Zielgruppen berücksichtigen, um letztendlich zu einer Entscheidung zu kommen. Es geht jedoch um weit mehr als nur um eine Begrifflichkeit. Corporate Blogs funktionieren erfahrungsgemäß immer dann richtig gut, wenn es gelingt, sie zur eigenen Marke zu machen. Die Frage „wie nenne und kommuniziere ich das Ganze“ muss dazu zwingend geklärt sein.

Wie hat die Entwicklung von Unternehmen zu eigenständigen Content-Produzenten die Blogosphäre beeinflusst? Sehen Sie das als Gefahr oder Bereicherung?
Die aktuellen Gefahren für die sogenannte Blogosphäre sind eher hausgemacht. Gefühlt acht von zehn Blogs liefern geistigen Unfug. Warum machen sie das? Weil sich damit etwa via Affiliate Marketing Geld verdienen lässt, in Wahrheit geht es also um Werbung. Man muss gestehen, dass Corporate Blogs bei privaten Bloggern kaum eine Rolle spielen – abgesehen von den vielen nervigen Anfragen, die man als Blogger oft massenweise erhält und die zu 99 Prozent alles andere als geschickt gestaltet sind, die sogenannten „Blogger Relations“. Doch selbst diese Anfragen kommen meist von mehr oder weniger dubiosen Agenturen oder aus der PR-Abteilung – seltsamerweise weniger von den Mitarbeitern des Corporate-Blog-Teams, die sich hoffentlich besser damit auskennen. Die Zusammenarbeit mit Bloggern erfordert heute deutlich mehr Know-how als früher: Es gibt nicht mehr die eine Blogosphäre, die miteinander spricht, sondern zig Untergruppierungen. Modeblogger leben in einer völlig anderen Welt als Reiseblogger oder Tech-Blogger etc. Und sie interagieren jeweils auch völlig unterschiedlich mit Unternehmen. Mit platten Botschaften erreicht man nur noch wenige Blogger. Denn diese sind sich ihres Werts für Unternehmen zunehmend bewusst. Das geht so weit, dass einige Blogger oder Vlogger mittlerweile Preise aufrufen, die extrem selbstbewusst sind, um es vorsichtig zu formulieren.

Wie werden heutzutage – nicht zuletzt angesichts eines drohenden „Content Shock“ und der fragmentierten Online-Welt – Blogartikel an den Leser gebracht? Welche Reichweite ist heute mit Blogs zu erzielen?
Es gibt nach wir vor private oder semiprofessionelle Blogs, die sehr unscheinbar aussehen, die jedoch monatliche Zugriffszahlen im sechsstelligen Bereich haben, bei denen wir alle grün und gelb vor Neid werden. Blogs sind Long-Tail- oder Nischen-Keyword-Marketing par excellence – auch wenn die betroffenen Blogger das selbst gar nicht wissen. Von daher geht immer noch viel über Google. Und trotz des Content Shock gibt es immer noch genügend Sub-Themen, die nicht oder nur mit sehr schlechten Inhalten bedient werden. Welche Reichweite ist machbar? Sagen wir es so: Bei erfolgreichen Corporate Blogs werde ich manchmal sogar zu Hilfe gerufen, wenn die Blogbeiträge in kurzer Zeit bei Google am Corporate-Portal oder gar an den Produktseiten „vorbeirutschen“, wenn diese also erfolgreicher sind als das über Jahre mit enormem Budget aufgebaute Hauptportal. Das zeigt die Reichweitenmacht. Recherchieren Sie einmal selbst zu einem nahezu beliebigen Thema bei Google, und schauen Sie, wie viele Blogs oder Blog-ähnliche Portale sich unter den Treffern der ersten Suchergebnisseite befinden. Ich mache das Spiel ganz gerne, bevor ich in ein neues Unternehmen gehe. Und bin selbst immer wieder erstaunt. Natürlich wird dieses SEO-Spiel immer komplexer und weniger durchschaubar. Gute Blogger beherrschen auch die Klaviatur in ausgewählten sozialen Netzwerken sehr gut, weil sie täglich Content liefern, ohne darüber nachzudenken. Sie können also auch natürliche Social-Media-Reichweite generieren. Und sie verfügen nicht selten über sehr hochwertige Netzwerke bzw. Follower.

Sie kritisieren in Ihrem neuesten Buch das „gekaufte Web“ und beklagen ein Überhandnehmen von Kommerz und Manipulation. Was sagen Sie in diesem Zusammenhang zu Trends wie Content Marketing, Native Advertising, Blogger Relations und Influencer Marketing?
Als technisch versierter Blogger weiß ich, was alles „hintenrum“ getrickst wird, von dem normalsterbliche Leser wenig oder keine Ahnung haben. Vor diesem Hintergrund entstand das Buch. Ich bin ja selbst in einem Dilemma gefangen: Ich setze mich für transparentes Bloggen ein, berate aber gleichzeitig Unternehmen zu Content Marketing und auch Blogger Relations. Eine der zentralen Botschaften, die ich den Firmenverantwortlichen stets mit auf den Weg gebe: Arbeitet sauber, alles andere wird sich über kurz oder lang eh rächen. Von daher ist wenig gegen Content Marketing einzuwenden, sofern der Verbraucher immer klar erkennen kann, wer hinter einer Kampagne steckt. Native Advertising wird leider von vielen Kommunikationsverantwortlichen als Freibrief verstanden, Kampagnen zu fahren, die ich persönlich als Schleichwerbung betrachte. Influencer Relations sind durchaus legitim, das Offline-Marketing alter Tage hat nichts anderes gemacht – mit dem Unterschied, dass der Erfolg heutzutage viel besser ausgesteuert und gemessen werden kann. Aber nur dann, wenn die entstehenden Kampagnen das Selbstbestimmungsrecht der Leser nicht verletzten. Und das geht nur, wenn diese Leser für sich selbst entscheiden können, ob aus ihrer Sicht ein Interessenskonflikt vorliegt oder eben nicht.

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Der Deutsche Michael Firnkes lebte mehrere Jahre lang ausschließlich von den Werbeeinahmen seiner Blogs, heute ist er als Trainer und Buchautor (zuletzt „Das gekaufte Web“) tätig. www.michaelfirnkes.de
Foto © Christine Halina Schramm