Hört auf, so harmonisch zu sein!

Müssen Unternehmen mit einer Stimme sprechen oder darf es Vielfalt in der Mitarbeiterkommunikation geben?  

Erst definieren die Konzernchefs ein Ziel, dann planen die Manager den Weg dorthin, die Abteilung für interne Kommunikation erklärt ihn den Mitarbeitern und schon marschieren alle los, bis das Ziel erreicht ist, alle glücklich und zufrieden sind – und wenn sie nicht gestorben sind, dann floriert das Unternehmen noch heute ...

Das Märchen von den gemeinsamen Zielen, die zum Unternehmenserfolg führen, setzt Fachleute für interne Kommunikation unter Druck. Es suggeriert, man müsse Ziele nur immer noch besser, öfter, massiver kommunizieren, und schon werden alle motiviert folgen. Stimmt nicht, sage ich. Wir sollten aufhören, 
die Mitarbeiterkommunikation nur auf Harmonie und Einheitlichkeit auszurichten – und stattdessen auf Vielfalt setzen. 

Es gibt Unternehmen, in denen sich die Mitarbeiter brav wie die Ameisen auf der Ameisenstraße einreihen und geschlossen in eine Richtung marschieren. Sie tun das wohl kaum aus Überzeugung. In einem Unternehmen wollen nämlich nie alle dasselbe. Die Verkaufsabteilung hat vielleicht ganz andere Prioritäten als der IT-Support, die Geschäftsleitung andere Interessen als der Schichtdienst. Wer den Sinn der Unternehmenskommunikation darin sieht, trotzdem ein großes Ganzes zu formulieren, das alle Interessen vereint, landet schnell bei Binsenwahrheiten wie: 
„Wir wollen innovativ sein“, „Wir wollen den besten Service 
bieten“ oder „Wir wollen erfolgreich sein“. Wer wiederum alle 
Wünsche des Managements so verkauft, als wären es die 
Interessen der gesamten Belegschaft, macht sich schnell unglaubwürdig. 

Moderne interne Kommunikation lässt Pluralität nicht nur zu, sondern sieht sie als Chance. Wenn Meinungen und Anliegen aus den unterschiedlichen Bereichen aufeinandertreffen, diskutiert werden, wenn auch Widersprüche zugelassen werden, ist Kommunikation plötzlich nicht mehr nur Dokumentation, sondern dynamische Antriebsfeder für Prozesse. Aber: Eine Kommunikation, die Kritik und Meinungen zulässt, agiert nicht nur nach Plan, sondern muss auch spontan reagieren. Dazu braucht es Mut, denn dabei passieren Fehler. Doch Fehler sind mit dem Erfolg untrennbar verbunden. Wer nicht scheitert, kann auch kein Held werden. Das ist bei den antiken Argonauten genauso wie beim mittelalterlichen Parzival oder dem modernen Harry Potter. 

Dieser Kommentar erscheint erstmals am 5.9.2015 in der Printausgabe des „Standard“.