„Die Journalismuskrise wird auch herbeigeredet“

Online oder Print? Newsletter oder Podcast? Fragen nach der medialen Zukunft beschäftigen natürlich auch uns in der Redaktion von Egger & Lerch. Für mögliche Antworten besuchten wir „Falter“-Geschäftsführer Siegmar Schlager und Chief Product Officer Florian Jungnikl-Gossy. 

Interview: Maya McKechneay und Ulrike Moser-Wegscheider

Herr Schlager, Herr Jungnikl-Gossy – wie schaut sie aus, die Zukunft der Medien?

SIEGMAR SCHLAGER: Das kann natürlich niemand wissen. Aber so viel steht fest: Alles wird anders. Und zwar ALLES. Bei Autos kann man es sich leichter vorstellen als in der Medienindustrie. Statt 50.000 beweglichen Teilen gibt es nur noch 3.000 sowie andere Problemstellungen, die daraus folgen. Bei Medien ist es so ähnlich. 

Was heißt das im Detail? 

SIEGMAR SCHLAGER: Das Leseverhalten und die dahinterliegende Technologie haben sich massiv geändert und ändern sich weiter. Vor einem Jahr hat bis auf wenige Fachleute noch niemand von ChatGPT geredet. Es gibt neue Formate und viele neue Möglichkeiten, Dinge auszuspielen. Wir sitzen hier für dieses Gespräch in einem unserer Podcaststudios. Vor fünf Jahren waren wir unter den Ersten, die in Österreich Podcasts gemacht haben. Damals war überhaupt nicht klar, ob die irgendwer hören will. Heute ist es ein breites Angebot am Markt. Und im Onlinebereich haben wir auch direkte Zugriffszahlen und können jederzeit schauen, wer wann wo auf was zugreift und es liest. Wenn wir vor 15 Jahren wissen wollten, was unsere Leserinnen und Leser beschäftigt oder was sie lesen, haben wir noch einen gedruckten Fragebogen im „Falter“ beigelegt und gehofft, dass sie ihn zurückschicken. 

Wir hören heraus, dass sich hier auch Gelegenheit bietet, Neues auszuprobieren. Wie entwickelt man als Medienmanager Produkte, die auf lange Sicht funktionieren?

SIEGMAR SCHLAGER: Die Frage, die uns alle beschäftigt, lautet natürlich: Wie geht es weiter? Und weil das niemand weiß – und ich sage es ungern, aber es ist so –, machen auch wir „Trial and Error“. Wir probieren Dinge aus, schauen, was funktioniert. Und wenn etwas funktioniert, machen wir es weiter. 

Wie lange geben Sie solchen Projekten Zeit? Denn dadurch, dass die technische Entwicklung immer schneller wird, haben wir das Gefühl, es bleibt auch weniger Zeit, Dinge auszuprobieren. Gibt es da bei Ihnen klare Richtlinien? 

SIEGMAR SCHLAGER: Man kann diese Entscheidungen nicht in Zeiträume von einem, zwei, drei Jahren fassen. Aber wir lassen uns relativ viel Zeit im Vergleich zu dem, was ich am deutschsprachigen Markt kenne. Und wenn wir etwas wieder einstellen, dann haben wir vorher alles probiert, um dieses Produkt zu verändern, besser oder marktgängiger zu machen.

Herr Jungnikl-Gossy, Sie sind für die digitalen Agenden de„Falter“ zuständig. Wie wichtig sind in diesem Kontext Social Media für die Marke „Falter“? Chefredakteur Florian Klenk ist ja dort beispielsweise sehr aktiv.

FLORIAN JUNGNIKL-GOSSY: Im Verhältnis zur Höhe unserer Auflage sind wir, auch wenn man das mit anderen Medien vergleicht, auf den „Falter“-eigenen Kanälen gut unterwegs. Ich glaube, das hilft uns schon. Gerade wenn es darum geht, Sachen exklusiv zu veröffentlichen. Oder investigative Geschichten, da braucht man das als Katalysator.



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Florian Jungnikl-Gossy, Maya McKechneay, Ulrike Moser-Wegscheider und Siegmar Schlager (v. l.)

 

Auch, um jüngere Leser:innen für die Marke „Falter“ zu interessieren?

SIEGMAR SCHLAGER: Möglicherweise. Wir können Inhalte über Social Media anteasern und sagen: „Hallo, hier gibt es die G'schicht, lies die mal, die ist gut!“ Ob das dann Junge sind oder Alte, die reagieren? Egal. TikTok-Kanal haben wir noch keinen.

FLORIAN JUNGNIKL-GOSSY: Laut Media-Analyse erreichen wir insgesamt deutlich mehr junge Leute als andere vergleichbare Produkte, auch mit unseren Podcasts. Wir haben Podcasts, wo uns die Spotify-Daten zeigen, dass ihn eher Ältere hören, und andere, die von Jüngeren bevorzugt werden. Also, so klar geht die Rechnung nicht auf: „Podcasts und Social Media sprechen die Jungen an.“ 

SIEGMAR SCHLAGER: Das war schon in der Printwelt so. Immer wenn man da geglaubt hat, man muss jetzt eine junge Zielgruppe ansprechen, ist das in die Hose gegangen. Weil sich halt alte weiße Männer überlegt haben, was die Jungen interessiert. Das hat die natürlich erst recht nicht interessiert! Oder umgekehrt auch. Vor Urzeiten haben wir uns mal gedacht: die Pensionisten werden immer mehr. Dann haben wir ein kleines Buch gemacht, „Der Graue Schlaue“. Da ist alles dringestanden, was man in der Pension braucht. Es hat aber keiner gekauft. Die Pensionistinnen und Pensionisten wollten in der Buchhandlung kein Buch kaufen, wo drauf steht, dass sie in der Pension sind. (lacht)

Neben den neuen digitalen Tools wie täglichem Newsletter oder Podcasts setzt der „Falter“ aber ganz bewusst auf Print. Dabei sind die Papierpreise gestiegen. Haben Sie schon einmal überlegt, den Programmteil der Zeitung nur noch online zu veröffentlichen? 

SIEGMAR SCHLAGER: Wir wollen uns doch nicht das Herz herausreißen! Gehen Sie mal am Samstagvormittag ins Kaffeehaus und schauen Sie, wie intensiv – oft eine ganze Stunde lang – die Leute den Programmteil lesen. 

Könnten Sie das nicht online auch?

SIEGMAR SCHLAGER: Im Internet kann ich nur Veranstaltungen finden, von denen ich schon weiß, dass es sie gibt oder ungefähr gibt. Im „Falter“ finden Sie dagegen Dinge, von denen Sie noch gar nicht wissen, dass sie existieren. Wie in einer Buchhandlung im Unterschied zu Amazon: Auch dort schauen Sie sich um und entdecken Neues. Außerdem: Wenn der „Falter“ nur mehr halb so dick wäre – das wäre doch nicht gut! 

Eines der Schlagworte der letzten Jahre lautet „Digital Detox“. Wer im Job täglich acht Stunden auf einen Bildschirm schaut, blättert nach Dienstschluss und am Wochenende vielleicht lieber in einer gedruckten Zeitung: Profitieren Sie von diesem Gedanken? 

SIEGMAR SCHLAGER: Mit Sicherheit. Ich kann es zwar nicht beweisen, aber am Wochenende lesen die Leute eher Gedrucktes. Da muss es nicht so schnell gehen. Außer es sind internationale Produkte, die ich anders nicht kriege – so wie die „New York Times“. 

FLORIAN JUNGNIKL-GOSSY: Ich bin mir nicht so sicher. Als ich in die Branche gekommen bin, vor 15 Jahren, war es noch so, dass am Wochenende die Online-Zugriffe auf falter.at runtergegangen sind. Jetzt merkt man den Unterschied nicht mehr so.

 

Was Sie beide verbindet, ist der Beruf des Medienmanagers. Ist unsere Zeit eigentlich eine gute für diesen Beruf?

SIEGMAR SCHLAGER: Natürlich, ganz klar! Alles bewegt sich, überall ist Veränderung. Das macht es spannend. Es ist eine gute Zeit für Manager, wenn sie was arbeiten wollen … für Journalisten vielleicht weniger. 

FLORIAN JUNGNIKL-GOSSY: Es wird ja oft eine Journalismuskrise herbeigeredet. Ich glaube aber, es handelt sich zu großen Teilen um eine Managementkrise im Journalismus – mit der man umgehen kann, indem man vieles anders macht. Und genau das versuchen wir hier. 

Anmerkung: Das Gespräch ist eine Auskoppelung aus einem Interview, das unsere Redakteurinnen Mitte Jänner 2024 für STUDIO! – Das Magazin der FHWien der WKW führten. 



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