Romeo und Julia / © shutterstock, Fona

Ohne Problem keine Geschichte

Storytelling ist toll, wenn man es ­richtig macht. Dazu gehört aber der Mut, ­Geschichten zuzulassen, die Spannung ­erzeugen. Und Spannung entsteht nur dort, wo es auch Probleme gibt! 

Romeo lernt Julia kennen, die beiden verlieben sich ineinander, heiraten, werden nebeneinander alt, sterben an Altersschwäche. Damit wäre Shakespeare nicht berühmt geworden. Zur bekanntesten Liebesgeschichte der Welt wurde „Romeo und Julia“, weil es ein Problem gab: Die Eltern der beiden waren verfeindet, die beiden durften einander nicht lieben.

Egal ob Hollywood oder Weltliteratur, egal ob eine Story gut ausgeht oder nicht: Wo es keine Probleme gibt, die der Held löst oder an denen er scheitert, existiert auch keine Geschichte. Und genau das ist das Problem vieler Firmen: Sie wünschen sich Storytelling in der Unternehmenskommunikation – aber über Schwierigkeiten reden wollen sie nicht, manchmal selbst dann nicht, wenn am Ende ein strahlendes Happy End stünde.

So passierte es mir vor einigen Wochen, als ich gemeinsam mit einem Marketingassistenten nach Inhalten für eine Kundenzeitschrift suchte. „Storytelling zur Entwicklungsgeschichte unseres neuen Produktes“, wünschte er sich. Also startete ich meine Recherchen. Beim Interview mit den Technikern erfuhr ich, dass der Prototyp beim ersten Test in der Mitte auseinandergebrochen war. Sogar ein Foto gab es von dem Missgeschick.

Ich freute mich, denn das würde eine tolle Story werden: vom Grübeln und Tüfteln der Techniker, von der Enttäuschung beim ersten Test, von dem Helden, der den Fehler fand, vom Bangen vor dem zweiten Versuch, vom Gelingen ... Und mit Happy End: Das Produkt ist mittlerweile zum Verkaufsschlager geworden.

Ich freute mich zu früh. Der Marketingassistent hatte Angst, dass irgendjemandem das Scheitern mehr in Erinnerung bleiben könnte als der Erfolg am Ende. „Dass der Prototyp gebrochen ist, schreiben wir lieber nicht. Sagen wir nur, dass er nicht hundertprozentig funktioniert hat. – Nein, lassen wir das überhaupt weg ...“ Satz für Satz strich er meine Story zusammen. Übrig blieb eine Jubelmeldung, wie innovativ nicht alle gearbeitet hätten, um das Beste für den Kunden zu leisten.

Spannung null, Information null, Servicecharakter null: Das wiederum wollte ich nicht machen. Also fanden wir eine andere Lösung, brachten eine Seite mit den wichtigsten Anwendungsmöglichkeiten und Produktvorteilen als Aufzählung. Zwar geht nichts über eine gute Geschichte, die Emotionen weckt und im Gedächtnis bleibt. Aber im Zweifelsfall ist eine Faktenseite mit Kundennutzen um Welten besser als mutloses „Storytelling“!

Diese Kolumne erschien erstmals in der Printausgabe der Tageszeitung „Der Standard“ vom 20. Februar.